Jahreslosung 2025
Einige Jahre hieß es „Geiz ist geil“! Es ging um möglichst billiges Einkaufen. Irgendwie geht es wohl immer darum. Inzwischen sind guenstiger.de, Check24.de und andere Anbieter gefragt. Die Idee dahinter: Diese Internetseiten prüfen Preise für ein Produkt. Danach soll einer möglichen Käuferin oder einem Käufer klar sein, wer das günstigste Angebot hat. Seit dem Jahr 2001 ist in Deutschland das Rabattgesetz aufgehoben, die Preisvergleiche wurden damit anstrengender. Es gibt keine Termine mehr für Sommer- und Winterschlussverkäufe, sondern jederzeit ist irgendwo ein „sale“ und das gesuchte Produkt kann irgendwo billig(er) angeboten werden. Letztendlich hat das dazu geführt, dass sich Kund*innen nie sicher sein können, ob sie wirklich den günstigsten Preis gefunden haben, denn auch die Preisvergleichsportale prüfen nicht alles, sondern nur die Anbieter, mit denen sie kooperieren.
So sind noch mehr Misstrauen und Argwohn als gewohnt ins Kaufverhalten eingezogen, verbunden mit der Frage: Wem kann ich überhaupt noch glauben, welchem Angebot noch trauen? Denken und Handeln werden durch diese verändernde Kaufpraxis zunehmend beeinflusst.
Deshalb habe ich die Jahreslosung 2025 „Prüfet alles und das Gute behaltet“ zunächst ganz kritisch gelesen. Sie klingt nach Anstrengung pur und nach Überforderung, denn oft kann ich gar nicht alles bis zu Ende prüfen. Zu vielschichtig sind die Konsequenzen, zu komplex die Folgen. Was ist letztendlich das Gute, das ich behalten soll? Welche Kriterien habe ich um zu prüfen und das Beste herauszufinden?
1. Prüfen heißt: Immer hinterfragen
Gibt es eine Definition dafür, was „das Gute“ ist?
Der biblische Befund: Der 1. Brief an die Gemeinde in Thessalonich (heute: Thessaloniki) gilt als einer der ältesten Texte des Neuen Testaments, der griechischen Bibel. Wahrscheinlich um das Jahr 50 nach Christus von Paulus (und Silas) aus Korinth geschrieben. Apostelgeschichte 17,1-9 ist zu entnehmen, dass Paulus die Gemeinde während seiner zweiten Missionsreise gründete. Er predigte in der Synagoge und brachte sowohl Juden und Jüdinnen als auch Heid*innen zum neuen Glauben. Apostelgeschichte 17,4: Einige von ihnen (den Juden, Anm.) ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus und Silas an. Darunter waren auch viele aus der griechischen Bevölkerung, die Israels Gott ehrten, und nicht wenige von den angesehenen Frauen.
Die Gemeinde wuchs schnell, was zum einen auf die Wirksamkeit der christlichen Botschaft zurückzuführen ist, aber auch als Beleg für die Offenheit der Menschen gedeutet werden kann. Thessalonich ist eine Hafenstadt, Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Länder kommen hier zusammen.
Die junge, wachsende Gemeinde ist schnell vielen Fragen ausgesetzt. Repression gibt es von den römischen Machthabern und anderen Gruppen. Ist es gut, was diese Gemeinde tut? Wie verhält sie sich im öffentlichen Raum, auch angesichts der fremden Besatzung?
Paulus gibt der Gemeinde am Schluss des Briefes einen Verhaltenskatalog an die Hand. Der Vers der Jahreslosung ist an dessen Ende zu finden (Verse 14 bis 21).
Was sieht Paulus als wichtig, als „gut“ für die Gemeinde an? Wie sollen sich die Einzelnen und Gemeinde selbst verhalten? Er stellt Regeln auf:
• Erkennt diejenigen an, die mühevoll für euch arbeiten,
• haltet Frieden,
• weist die zurecht, die keine Regeln einhalten,
• ermutigt, die in Angst sind,
• kümmert Euch um die Schwachen,
• habt Geduld mit allen,
• vergeltet nicht Böses mit Bösem, sondern sucht das Gute.
• Seid fröhlich, betet und seid dankbar,
• löscht die Geistkraft nicht aus und verachtet Prophezeiungen nicht.
Prüfet alles und das Gute behaltet. Es ist als umfassende Richtschnur für das Leben in der jungen Gemeinde in Thessalonich gedacht. Das alltägliche und spirituelle Leben innerhalb der Gemeinschaft ist wichtig. Vor allem aber genaues Hinschauen und Hinterfragen, damit das Gute und nicht das Böse das Leben bestimmt.
2. Was bedeutet dieser Text für Frauen?
Selbst wenn es in der Apostelgeschichte heißt, dass nicht wenige der angesehenen Frauen Teil der jungen christlichen Gemeinde waren, so werden doch Frauen weder in diesem Ersten noch im Zweiten Thessalonichen Brief explizit erwähnt. An wen also richtet sich der Verhaltenskatalog? Wenn ich ihn durchgehe, dann entdecke ich allerdings sofort (erlernte) weibliche Verhaltensmuster, Kompetenzen und Softskills. Typisch, dass ich mich von diesen Eigenschaften sofort als Frau angesprochen fühle und nicht zuerst denke: „Dann sollen die Männer mal machen! An ihren Taten werden wir sie erkennen!“ Vielleicht auch, weil die Erfahrung zeigt: „Da kannste‘ lange drauf warten.“
Noch heute und, wie ich meine, noch immer(!) und sogar wieder stärker, ordnen sich Frauen in vorgegebene Hierarchien ein. Zahlreiche Frauen in Vorständen äußern, dass sie diese Position erst anstrebten, als andere, zumeist Männer, sie dazu ermuntert hätten. Warum gab es erst 2024 bei der Wahl der Kirchenpräsidentin zwei Bewerberinnen und nicht bereits vor 16 Jahren? Wurden Frauen dieses Mal besonders zur Bewerbung ermutigt?
Haltet Frieden: Frauen sorgen für Ausgleich in Konfliktsituationen, nicht nur bei Familienfesten greifen sie beschwichtigend ein und haben die leckere Marzipankartoffel parat, sondern auch als Streitschlichterinnen in (Grund-) Schulen oder als Mediatorinnen.
Frauen sind geduldiger! Deutlich sichtbar zum Beispiel, wenn es um gleichen Lohn geht. Die Proteste am Equal Pay Day (Tag der gleichen Bezahlung) sind überschaubar, auch wenn Frauen in Deutschland im Vergleich zu Männern 66 Tage faktisch unentgeltlich arbeiten (laut Statistischem Bundesamt 2023). Im Jahr 2025 fallen der Weltgebetstag und der Equal Pay Day zusammen auf den 7. März 2025. Da müssen lauter und deutlicher vernehmbar unsere Anliegen für Geschlechtergerechtigkeit in die Öffentlichkeit gebracht werden. Und am Folgetag, dem Internationalen Tag der Frauen am 8. März gleich noch einmal. Wenn es um gute Gemeinschaft oder Gesellschaft geht, dann müssen diese Forderungen dringend und schnell umgesetzt werden. Es darf dabei nicht bei diesen besonderen Frauentagen bleiben! Jeder Tag gilt!
„Ermutigen und kümmern“ sind unsere weiblichen Vornamen, würde eine Freundin an dieser Stelle sagen und darauf anspielen, dass Frauen den Großteil der Erziehungs- und Care-Arbeit machen. Die Fürsorge für Kinder, Benachteiligte oder die Pflege der älteren Menschen sind weibliche Tätigkeiten, in der Regel unentgeltlich oder in schlecht bezahlten Pflege- und Erziehungsberufen. Das kann uns nicht gefallen, denn wir zahlen einen hohen Preis dafür: Altersarmut ist weiblich.
Frauen leben und suchen einen spirituell anderen Zugang zu prophetischen Texten und der Geistkraft. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Ehrenamtlichen in der EKHN sind Frauen. Leider hat Paulus in seinem Brief keine der angesehenen Frauen in der Gemeinde erwähnt. Auch wenn wir davon ausgehen können, dass es sie gab. Auch heute kommt es mir oft so vor, dass Frauen und ihre Fähigkeiten und Leistungen nicht erwähnt werden oder als Zielgruppe nicht mitgedacht werden.
Unsere Welt ist durch die Digitalisierung sicherlich unüberschaubarer als vor knapp 2000 Jahren. Doch auch in der Hafenstadt Thessalonich war der Alltag unüberschaubar. Sicherlich waren nicht alle Gemeindeglieder damals in der Lage, jegliche Verflechtungen in der Stadt oder der Provinz zu durchschauen. Die stark hierarchische Gesellschaft war nicht sehr transparent organisiert. Trotzdem steht das Prüfen als Quintessenz am Ende der Aufträge des Paulusbriefes.
HeForShe – Er für Sie! heißt eine Kampagne der Frauenorganisation der Vereinten Nationen. Um die Welt, die Gesellschaft zu verändern und zu verbessern, braucht es die Männer. Frauen müssen doppelt prüfen. Immer einmal mehr als Männer. Frauen merken oft, dass „das Gute tun“, wenn es um Tätigkeiten für Gemeinschaft und Gesellschaft geht, häufig nicht geachtet oder vergütet wird. Frauen sind deshalb doppelt gefordert, was augenscheinlich gut ist für sich selbst zu prüfen, zu hinterfragen und immer wieder darauf hinzuweisen, wenn es für sie zum Nachteil wird. Männer profitieren davon. Frauen erwirtschaften im Durchschnitt nur etwa die Hälfte der Einkommen von Männern. Deshalb ist HeForShe angesagt!
3. Praktische Übung: Hat das Prüfen Vorbilder?
Für die Gemeinde in Thessalonich scheinen Paulus, sicherlich auch Silas Vorbilder zu sein. Deshalb existiert dieser Brief.
Aber wer könnte heute ein Vorbild sein? Welche Menschen mit den oben genannten Eigenschaften wären das?
Sollten sie klug, demütig, kämpferisch sein? Sind es Autor*innen, Politiker*innen, Sportler*innen, Menschen meiner Familie, Gemeinde, aus meinem Dorf, meiner Stadt? Ganz woanders her?
Vorschlag: Kochen Sie sich eine gute Tasse Tee oder Kaffee und schreiben drei Namen auf. Namen von Personen, die Vorbilder für Sie ganz persönlich sind.
Dann schreiben Sie (oder denken) zu jeder Person fünf Begriffe oder Eigenschaften, weshalb diese als Vorbilder taugen.
Der Gemeinde in Thessalonich rät Paulus, die Einflüsse von außen zu hinterfragen und auf die Gemeinschaft zu achten. Fürsorge und gegenseitige Stärkung sind hier zentral.
Können Sie bei Ihren Vorbildern / Ihrem Vorbild solche Haltungen und Eigenschaften entdecken? Entdecken Sie diese Eigenschaften auch bei sich? Wann kommen sie Ihnen zugute?
4. Fazit: Eine Lanze für das Prüfen brechen
Eine herausfordernde Jahreslosung in anstrengende Zeiten. Sie gibt zu denken und das ist gut so. Nehmen wir sie ernst, birgt sich doch darin die große Chance, im Rahmen der Prüfung dessen, was gut ist oder sein könnte, sich auch von dem zu trennen, was weniger gut, unnütz oder längst überkommen ist. Eben nicht zu lange oder gar ewig an dem festzuhalten, was allein alten Gewohnheiten entspricht, immer schon so war oder allein der gesellschaftlichen Zuordnung für Frauen entspricht. Prüfet alles! Prüfet auch, was gut und neu ist und der Gleichheit, der Gleichberechtigung entspricht, Entwicklungschancen beinhaltet, frei macht inmitten aller männlichen Ansprüche und diese infrage stellt und verändert.
„Nur das Gute behaltet.“ Dieses Auslesen ist ebenso bei der kommenden Bundestageswahl virulent: In welchen Parteiprogrammen kommen die Rechte von Frauen vor? Wie werden sie beschrieben und was wird angestrebt?
„Ungewollt Schwangeren sollen Abtreibungen verwehrt werden. Kinderrechte werden in Frage gestellt. Alleinerziehende – zu 90 % Frauen – sollen z.B. bei säumigen Unterhaltszahlungen nur noch dann staatliche Unterstützung erhalten, wenn dem Vater Zugang zum Kind gewährt wird. Organisationen, die Alleinerziehende unterstützen, sollen ihre Finanzierung verlieren. Paarfamilien mit kleinen Kindern sollen „wieder von einem Einkommen“ leben können, damit ein Elternteil sich Vollzeit um möglichst viele Kinder kümmern kann. Zudem will die AfD „Genderideologie“ bekämpfen, da sie diese als Feind der Kleinfamilie ansieht. Damit zielt die AfD auf Ungleichheit und die Wiederherstellung einer vermeintlich natürlichen, patriarchalen Ordnung“, so analysierte der Deutsche Frauenrat das Parteiprogramm der AfD zum Frauentag 2024.
Auch wenn Paulus solche Gedanken sicher nicht gehabt hat; sie können uns helfen, alte Klischees alt aussehen zu lassen und endlich Neuem auf den Weg zu helfen. Ganz ohne Suchmaschinen und Vergleichsportale, sondern menschlich. Weil die Zukunft weiblicher werden muss! Das gilt es, in einer männlich und kriegerisch geprägten Welt zu verdeutlichen wie auch im eigenen Selbst immer wieder abzurufen.
Es geht kein Weg daran vorbei, alles zu prüfen und für das Gute lautstark einzutreten, wenn wir miteinander die Welt verändern wollen.
Sunny Graff, Preisträgerin des diesjährigen Katharina-Zell-Preises gab uns folgendes mit auf den Weg: „Lasst uns den Kampf für soziale Gerechtigkeit und Frieden mit der gleichen Entschlossenheit, dem gleichen Mitgefühl und dem gleichen Mut fortsetzen, der uns so weit gebracht hat. Wir müssen immer unsere Stimme erheben, wenn es schwierig ist, auch wenn die Stimme zittert.“
Anja Schwier-Weinrich,
Geschäftsführende Pfarrerin EFHN
Bildnachweis: Canva
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