Mehr Selbstbestimmung für trans* Personen
Am kommenden Montag, dem 20. November, ist der Trans Day of Remembrance, zu Deutsch ungefähr: Gedenktag an die Opfer von Transfeindlichkeit. An diesem Tag wird der Menschen gedacht, die auf Grund transfeindlicher Gewalt ihr Leben verloren haben. Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen dann ihre Zahlen, wie viele trans* Personen in den zurückliegenden 12 Monaten durch Gewalttaten ums Leben gekommen sind – wobei von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen ist.
Ich nehme diesen Gedenktag zum Anlass, einen genaueren Blick auf das geplante Selbstbestimmungsgesetz und vor allem die darum entstandenen Debatten zu werfen. Eigentlich sollte so ein Gesetz durch die Selbstbestimmung die Lebensqualität von trans* Personen erhöhen und mehr gesellschaftliche Akzeptanz bewirken. Größere gesellschaftliche Akzeptanz sollte auch mehr Sicherheit nach sich ziehen, doch gerade das Gegenteil scheint aktuell der Fall zu sein. Bereits seit einigen Jahren steigt die Zahl der Übergriffe und Straftaten gegenüber queeren Menschen allgemein, wobei Personen, die der Geschlechternorm nicht entsprechen überproportional betroffen sind. Eine kleine Zahl queerfeindlicher Vorfälle habe ich bereits in einem Beitrag vom August aufgezählt.
Kurze Begriffsklärung: Wenn ich in diesem Text von trans* Personen spreche, meine ich damit alle, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, dass ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Das umfasst auch diejenigen, die ihr Geschlechtsidentität zwischen oder jenseits der binären Einteilung von Mann und Frau einordnen. So fallen nicht-binäre, genderqueere und agender Personen ebenfalls unter den Oberbegriff „trans*“.
Im Mai wurde der langerwartete Referentenentwurf des Selbstbestimmungsgesetzes von den Minister*innen Paus und Buschmann vorgestellt. In der darauffolgenden Phase der so genannten Verbändeabstimmung gingen über 100 Stellungnahmen mit Forderungen nach Änderungen und Überarbeitungen ein. Im August verabschiedete die Regierung schließlich den überarbeiteten Kabinettsentwurf und im Oktober äußerte sich der Bundesrat mit einer Stellungnahme. Diesen Mittwoch, am 15. November, wird der Gesetzentwurf in 1. Lesung in den Bundestag eingebracht werden. Selbst bei zeitnaher Verabschiedung durch den Bundestag, wird das Selbstbestimmungsgesetz laut Aussagen aus dem Innenministerium möglicherweise erst Ende 2024 in Kraft treten.
Die Kritik am Gesetzesentwurf in seinen verschiedenen Stadien war und ist vielfältig. Ich möchte mich auf eine beschränkten, die vor allem in feministischen Auseinandersetzungen Relevanz hat, und zwar die explizite Betonung, dass der „Zugang zu Einrichtungen und Räumen (…) die Vertragsfreiheit und das Hausrecht“ unberührt bleiben (§6 (2)). Aus juristischer Sicht ist dieser Paragraf unnötig und auch irreführend, da das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz den hier genannten Freiheiten durchaus Grenzen setzt. Während der Absatz also quasi keinen juristischen Nutzen hat, birgt er großes Potenzial für Missverständnisse und Fehlinterpretationen im Alltag. Außerdem impliziert er, wie verschiedene andere Formulierungen auch, dass trans* Personen zunächst einmal mit Misstrauen zu begegnen sei. Der Deutsche Juristinnenbund äußert sich dazu folgendermaßen: „Die Gesetzesbegründung suggeriert an dieser Stelle […], dass insbesondere trans Frauen eine potenzielle Gefahrenquelle für andere Frauen darstellten, indem sie das Gesetz zum missbräuchlichen Eindringen in für sie nicht vorgesehene Räume nutzen würden. Dafür gibt es keine empirischen Belege.“
Vor allem für trans* Frauen erhöht sich durch solche Formulierungen und die damit verbundenen pauschalen Verdächtigungen das Diskriminierungsrisiko in geschlechtergetrennten Räumen. Dabei gibt es zahlreiche, namenhafte Organisationen und Einzelpersonen, die sich für die Rechte und Sicherheit von Frauen einsetzen, und die ein echtes Selbstbestimmungsgesetz fordern. Und sich insbesondere für eine Streichung dieses Absatzes einsetzen. Darunter etwa der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), der Deutsche Frauenrat, der Deutsche Frauenring, die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD), pro familia oder Pinkstinks. Die Liste könnte lange fortgesetzt werden, viele weitere Namen und Institutionen finden sich unter einer Petition an die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien, mit dem Titel „Ja zu Selbstbestimmung! Diskriminierung und Misstrauen raus aus dem Selbstbestimmungsgesetz!“. Unter www.innn.it/jazuselbstbestimmung kann die Petition mit ihren Argumenten und Unterzeichner*innen nachgelesen und natürlich auch unterschrieben werden.
Es entsetzt mich immer wieder, wenn ich sehe, wie mit Verweis auf eine vermeintliche Gefährdung von Frauen gegen trans* Personen agitiert wird. Es verkehrt die Situation vollständig. Da werden Angstbilder heraufbeschworen, von Männern, die sich Zutritt zu Toiletten, Umkleiden oder anderen Schutzräumen erschleichen, um dort Frauen zu belästigen – als ob sich solche Täter die Mühe dieses bürokratischen Aufwands machen würden! Als ob es einen bestimmten Eintrag im Ausweis bräuchte, um Frauen Gewalt anzutun. Und als ob nicht gerade trans* Frauen besonders häufig von Gewalt betroffen wären.
Täter werden immer irgendwelche Wege finden, das werden auch diese diskriminierenden Formulierungen im Gesetzentwurf nicht verhindern. Was sie aber tun ist, Menschen, die oft genug schon mit Vorurteilen, Zurückweisungen oder Anfeindungen zu kämpfen haben, das Leben noch ein bisschen schwerer zu machen und die gesellschaftliche Stimmung gegen sie weiter zu vergiften, indem diesen Angstbildern so prominent eine Plattform und scheinbare Legitimation gegeben wird.
Gerade weil ich für mehr Sicherheit für Frauen und verletzliche Personengruppen bin, gerade weil ich Feministin bin, hoffe ich, dass einige dieser Formulierungen noch gestrichen oder geändert werden. Damit wir nicht noch mehr Gesetze und Paragrafen mit uns rumschleppen, die die Selbstbestimmung von Menschen einschränken, und die wir dann Jahrzehnte nicht loswerden – ich sag nur § 218.
Wenn Sie weitere Fragen oder Unklarheiten zu Transgeschlechtlichkeit oder dem Selbstbestimmungsgesetz haben, dann empfehle ich Ihnen sehr, die oben genannte Petition zu lesen. Und ich lege Ihnen folgende Broschüre aus dem März 2022 wärmstens ans Herz: „Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden? 12 Fragen und Antworten zu Selbstbestimmungsgesetz und Trans*Geschlechtlichkeit“ vom Bundesverband Trans* und dem LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland). Sie ist zwar in Punkto Selbstbestimmungsgesetz nachvollziehbarerweise nicht auf dem aktuellen Stand, beantwortet aber trotzdem viele wichtige Fragen, die hier eine Rolle spielen. Und auf den letzten Seiten ein Glossar, dass viele Begriffe noch mal kurz und knackig erklärt. Das Berliner Magazin Siegessäule hat außerdem in August einen interessanten Artikel anlässlich des Kabinettsentwurfes verfasst, in dem auch die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ferda Ataman zu Wort kommt, auch dieser ist sehr lesenswert.
Clara Böhme, Referentin Frauen*politik
Foto: kyle auf unsplash.com
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